Schulauswahl

Wie geht die Schulauswahl für ein Kind mit Behinderung?

Ein Eltern-Erfahrungsbericht aus dem Sommer vor der Einschulung.

Geboren Ende Juni 2018. Schulpflichtig ab dem 21. August 2024. Immerhin sechs Jahre und fast zwei Monate alt. Eigentlich nichts Ungewöhnliches… für „normale“ Kinder. Und doch so unfassbar, unplanbar, unvorhersehbar, ja sogar unvorstellbar für Eltern eines Kindes mit Behinderung.

Hier begann die Informationssuche bereits, als das Kind 3,5 Jahre alt war. Erste Hinweise und Tipps zum Thema „Inklusion“ wurden – organisiert vom Forum21 – online von Mitgliedern der Vereine „mittendrin e.V.“ in Köln sowie „Gemeinsam Leben – gemeinsam Lernen e.V. Aachen“ weitergegeben. Die wichtigsten Informationen aus diesem Abend waren die Erkenntnis, dass – unter Nutzung des Rechtanspruches auf Inklusion – das Kind mit Behinderung zuerst an einer regulären Grundschule angemeldet werden muss. Ein Wechsel in eine Förderschule ist bei Überforderung dann jederzeit möglich. Umgekehrt ist dieser Weg jedoch nicht möglich (bei der Behinderung dieses Kindes)! Bei der Schulanmeldung sollte unbedingt mitgeteilt werden, dass eine Behinderung vorliegt. In dem Fall wird an der avisierten Schule das AOSF-Verfahren eröffnet, welches „außerordentlichen Sonderpädagogischen Förderbedarf“ mittels Gutachten durch eine/n Sonderpädagog*In und Lehrer*In feststellt. Mögliche Förderschwerpunkte sind Lernen, Sprache, sozial-emotionale Entwicklung, körperlich-motorische Entwicklung, geistige Entwicklung, Hören und Sehen. Wird der Bedarf bei einem Kind erhoben, steht diesem Kind eine individuelle sonderpädagogische Förderung und eine zieldifferente Beschulung zu. Hierzu muss auch ein Förderplan erstellt und ausgehändigt werden. Des Weiteren ist es möglich, dass sich der Förderschwerpunkt im Entwicklungsverlauf auch ändert. Eine Überprüfung erfolgt jährlich.

In der „Schullandschaft“ gibt es im Prinzip drei unterschiedliche Schulformen: Regelgrundschulen, Grundschulen mit „gemeinsamen Lernen“ (GL) und Förderschulen.
In den Regelgrundschulen gibt es keine sonderpädagogischen Lehrkräfte. Daher können sich die Eltern eines Kindes mit Behinderung eine sogenannte GL-Schule oder eine Förderschule mit den oben benannten Schwerpunkten für die Anmeldung ihres Kindes aussuchen.

Möglich ist auch ein Telefonat mit dem Schulamt und der für seinen Wohnbezirk zuständigen Person dort, um ein Gespräch über einen möglichen Schulplatz und die konkreten Schulen zu führen.

Ebenfalls beantwortet wurde die Frage nach einer Inklusionsassistenz, die man auf Empfehlung der Schule beantragt und deren Aufgabe es ist, bei Alltags- und pflegerischen Aktivitäten wie Jacke an-/auskleiden, Toilettengänge begleiten, Struktur geben, Arbeitsfähigkeit sicherstellen sowie bei der Fokussierung und Konzentration zu unterstützen, aber definitiv keinen Unterricht gestalten soll.

Als wissenswert hervorzuheben ist ebenfalls, dass der Lehrplan einer Schule zur Förderung der geistigen Entwicklung keinen Schulabschluss vorsieht. Daran gebunden ist die Zukunft des Schulabgängers, dem somit der Weg auf den ersten Arbeitsmarkt verwehrt ist, allerdings ein Arbeitsplatz in einer Werkstatt für behinderte Menschen sicher ist. Letzten Endes ist die behinderte Person so auch derzeit in der BRD bis zum Lebensende sozialversichert und hat Anspruch auf staatliche Unterstützungsleistungen.

Um es noch einmal in die Erinnerung zu rufen: Das Kind war 3,5 Jahre alt!
Getrieben von dem tiefen Wunsch, aber auch von einer unterschwelligen Sorge, das Beste für dieses Kind zu wollen und zu wählen, nutzte ich fortan jede sich bietende Gelegenheit, weitere Informationen zu sammeln über alles, was irgendwie mit einer möglichen Schulwahl zusammenhing.

Als wichtige Erfahrung zu benennen, ist eine frühzeitige Unterstützungsanfrage an den Kindergarten. Hier wurden wir über die verschiedenen in Frage kommenden Schulen mit ihren Besonderheiten (GL-Status, Förderschwerpunkte, …) in Kenntnis gesetzt und individuelle Fragen wurden beantwortet.

Der Austausch mit anderen Eltern, die zum selben Zeitpunkt ein oder zwei Jahre weiter mit ihren Erfahrungen waren, zeichnet sich in der Rückschau ebenfalls als hilfreich ab. Hier gab es sehr früh die Empfehlung, wenn eine Rückstellung gewünscht ist, rechtzeitig alle behandelnden Ärzt*Innen, Therapeut*Innen, das Sozialpädiatrische Zentrum und die Frühförderung zu kontaktieren, um für den Spätsommer im Jahr der Schulanmeldung Berichte zu erbitten, in denen die Rückstellung aus medizinischen Gründen empfohlen wird.
Im Weiteren rieten diese Eltern dazu, sich rechtzeitig Schulen anzusehen, um bei der Amtsärztlichen Schuleingangsuntersuchung sowie im AOSF-Verfahren klar sagen zu können, warum man welche Schule für sein Kind wählen möchte.

Ebenfalls essentiell war der Hinweis, sich früh mit dem Gesundheitsamt in Verbindung zu setzen und auch hier mitzuteilen, an welcher Schule man sein Kind mit Behinderung warum anmelden möchte. An dieser Stelle ist es wichtig, einen Rückstellungswunsch zu formulieren, sofern die gewünschte Schule keine Förderschule ist. An Förderschulen werden Rückstellungen in der Regel nicht ermöglicht, da sonderpädagogische Förderung und ein besserer Personalschlüssel obligat sind.

Als mein Kind vier Jahre alt geworden war, informierte ich mich über die besten und wohnartnahen Schulen zuerst im Internet, griff anschließend zum Telefon, um recht bald ernüchtert festzustellen, dass nicht jede Schulleitung mit gleicher Offenheit auf meine unverblümte und klare Anfrage auf meinen Wunsch zur Anmeldung meines behinderten Kindes reagierte. Automatisch sortierte sich meine Liste und die Auswahl wurde überschaubar. Absagen einiger Schulen, in deren Einzugsgebiet wir nicht wohnten, enttäuschten uns ebenso wie vorsichtige Zurückhaltung, da keine Erfahrungen in anderen angefragten Schulen mit „derart“ behinderten Kindern vorlagen.

So ein Jahr mit verschiedenen Hospitationsterminen vergeht irgendwie schnell. Zu schnell, um genau zu sein! Als wir am Ende der Sommerferien mit dem fünfjährigen Kind aus dem Urlaub kamen, wartete zuhause bereits der Brief mit den Unterlagen zur Schulanmeldung bis zum 01. September. Aber wo sollten wir in weniger als vier Wochen nun anmelden? Die „beste“ Schule für dieses Kind hatten wir immer noch nicht gefunden…. Genau eine Grundschule mit gemeinsamen Lernen blieb nun noch übrig. Eine Hospitation war nach der Anmeldefrist terminiert. Wir haben alle Fristen eingehalten, um den Bestimmungen zur Schulpflicht unseres Kindes zu genügen und die Anmeldung einschließlich der Berichte aller behandelnden Disziplinen sowie eines formlosen Rückstellungsantrags abgegeben.

Wir haben gelernt, dass Anfang Mai nächsten Jahres die Zusagen für einen Schulplatz versandt werden. Wir wissen nun auch, dass das Kind im Falle einer Absage der gewählten Schule, trotzdem die wohnortnächste Schule oder eine konfessionsgebundene Schule besuchen wird. Ebenfalls haben wir erfahren, dass wie im Mai mit dem Bescheid des AOSF-Verfahrens aussuchen dürfen, ob wir die vorgeschlagene staatliche Förder- oder GL-Schule auswählen. Wir wissen noch nicht, wann und in welcher Form man Bescheid über eine Rückstellung von der Schulpflicht um ein Jahr erhält. Wir haben allerdings erfahren, dass alleine die Schulleitung hierüber entscheidet.

Immerhin waren wir in der Lage im vergangenen Jahr mit all den gesammelten Informationen eine Entscheidung für die gewünschte Schulform zu treffen, auch wenn wir regelmäßig eigenen Zweifeln begegnen, da es so unfassbar, unplanbar, unvorhersehbar, ja sogar unvorstellbar für Eltern eines Kindes mit Behinderung ist, welche Entwicklungsschritte in einem oder vielleicht auch in zwei Jahren bei erfolgreichem Rückstellungsantrag noch möglich sind….